Gina Été: Art-Pop mit politischer Ansage

Prosopagnosie bezeichnet die Unfähigkeit, Menschen am Gesicht zu erkennen – für Betroffene sind selbst vertraute Personen nicht sofort eindeutig identifizierbar. Die Schweizer Singer-Songwriterin Gina Été hat diese besondere Eigenschaft zur Inspiration für ihr zweites Album genommen und es 'Prosopagnosia' genannt.
"Ich erkenne Mitmenschen manchmal nicht wieder, auch wenn ich sie schon lange kenne. Ausgehend davon habe ich mich gefragt, ob man dies statt als Krankheit nicht auch als Geschenk oder Gabe ansehen könnte, weil man auf diese Weise eine Person immer wieder aufs Neue kennenlernt und ohne Vorurteile anschaut – zum Beispiel im Hinblick auf Rassismus oder Sexismus", so die queere Musikerin.
Dass Gina Été in ihrer Kunst stets Politik und Gesellschaft mitdenkt, zeigte sie bereits auf ihrem Debütalbum 'Erased By Thought' (2021). Ihr komplexer, aber zugleich auch eingängiger Hybrid-Pop brachte ihr Vergleiche mit Künstler*innen wie Radiohead, FKA Twigs und Björk ein: rhythmisch vertrackt, genreübergreifend, mit Einflüssen aus Klassik und Jazz. Doch diese Referenzen lässt sie nun hinter sich: Gina Été hat viele Gesichter und Facetten, die sie auf 'Prosopagnosia' kunstvoll vereint. Mal subtil, mal expressiv, manchmal düster, dann wieder zartschön.
Inhaltlich ist 'Prosopagnosia' eine Auseinandersetzung mit dem Menschsein, dem Körperlich-Sein und dem als-Frau-geboren-Sein. "I am many faced and twisted / I am bold and scared / I am angry and understanding / And these few are just some of me.", formuliert sie als eine Art Mission Statement.
I am many faced and twisted / I am bold and scared / I am angry and understanding / And these few are just some of me.
Ein zentraler Track des Albums ist 'Your Opinion', der genau die Diskriminierung aufgrund von Zuordnung und Schubladendenken adressiert, die die Musikerin mit dem Konzept der Gesichtsblindheit ergründen möchte. Sie räumt darin mit den Verurteilungen auf, denen weiblich gelesene Personen ausgesetzt sind im Bezug auf ihr Aussehen, Sexualität, Schwangerschaft, Mutterschaft – so thematisiert sie unumwunden etwa Abtreibung und Regretting Motherhood.
'F***you:you' hat das Potenzial zum badass Indie-Hit: Diese Künstlerin hat ein Anliegen! Schon die Schreibweise des Titels ist ein Abgesang auf das Patriarchat – und eine Verballhornung all jener, die sich über gegenderte Sprache echauffieren. "Ich sei doch Teil von deinen Worten/ Ich sei doch immer mitgemeint", karikiert sie darin, und fordert auf, eigene Privilegien zu hinterfragen.
Der Song 'Love to Work' geht unter die Haut: Darin beleuchtet die Künstlerin das Thema Care-Arbeit – und spricht das gesellschaftliche Tabu an, Sexarbeit als Teil davon zu erzählen. "Der Song ist inspiriert vom feministischen Pamphlet 'King Kong Theorie' von Virginie Despentes. Es ist ein Versuch, meine angelernte, weiße, bürgerliche Sexualmoral zu hinterfragen, die von bestehenden Hierarchien herrührt. Mit 'Love to Work' möchte ich mich für die Anerkennung und Wertschätzung aller Care-Berufe einsetzen."
Man spürt und hört: Gina Étés zweites Album ist körperlicher, intimer. Darauf klingt die Musikerin mal rebellisch, mal verletzlich, aber immer ausdrucksstark. Mal singt sie auf Englisch, mal auf Französisch und sogar einmal auf Schwyzerdütsch. Kurz: Gina Été ist Wandelbarkeit und Vielseitigkeit pur!
Tourdaten 2025
- 24. Februar 2025 – Köln / Tsunami
- 26. Februar 2025 – Rees / Haldern Pop Bar
- 27. Februar 2025 – Hannover / Feinkost Lampe
- 28. Februar 2025 – Berlin / Kulturhaus Insel
- 01. März 2025 – Magdeburg / Courage im Volksbad
- 05. März 2025 – Zürich / Helsinki
- 07. März 2025 – Luzern / Neubad
- 08. März 2025 – Basel / Gannet
- 13. März 2025 – Thun / Mokka
- Beitrag Zacker
- Fotos Niclas Weber, Marta Zelent